Montessori-Pädagogik als Form des "stillen Widerstands"? Im Interview mit Dr. Margareta Harrer werden dazu von Maria Ramsak fünf Fragen gestellt.
Kann die Montessori-Pädagogik als eine Form des "stillen Widerstands" im Hinblick auf das tradierte Bildungssystem gesehen werden? Kann der Montessori-Ansatz als nennenswerter Teil der Menschenrechtsbewegung bezeichnet werden?
Vorweg dazu eine Zitation aus dem Interview:
"Es ist heute offensichtlich, dass der Mensch in verzweifeltem Ausmaß der Intelligenz bedarf, um seine Kraft zur konstruktiven Veränderung der Dinge einzusetzen. Es ist nur zu hoffen, wenn der Mensch seine selbstverfertigte Welt in einer Fassung erhält, die menschliches Leben ermöglicht, dass sich in Richtung auf eine für alle würdige Existenzform entwickelt. Eben das lässt sich nur mit Hilfe von Erziehung verwirklichen."
Welche Bedeutung hat für Maria Montessori das kindliche Spiel? Oft ist ja zu hören, dass sie ganz die "Arbeit des Kindes" in den Blick nimmt.
Harrer: Montessori versteht unter "Spiel" im erweiterten Sinne kindliche Aktivitäten, die sich als selbstgesteuertes, intensives und selbstvergessenes Tun zeigen.
Sie setzt von Anfang an ihr Sinnesmaterial ein - testet auch die Spielgaben von Friedrich Fröbel, dessen Ansatz sie zu vielen Aspekten schätzt. Weil Maria Montessori aber Kindern viel mehr solche Gaben bieten möchte, entwickelt sie unzählige, bedeutsame Alltags-, Bewegungs-, Sinnesübungen bzw. Materialien.
Wiederholt äußert sie, wie sehr diese 'Spiele' die Kinder erfreuen oder faszinieren.
Sie sieht in der kindlichen Tätigkeit den Aufbau der eigenen Personalität, die nur durch selbst gemachte Erfahrungen erreichbar ist. In der schöpferischen Kraft des kindlichen Tuns erkennt sie "die große Arbeit, die jedes Kind vollbringen muss, um sich selbst zu entwickeln. (...) In all seinen Übungen spielt das Kind. Dadurch erlangt es die Fähigkeiten und Kräfte, die es zu seiner Bildung und Entwicklung benötigt!" Durch die aktive und schöpferische Selbsttätigkeit im Spiel wird das Kind also zum "Baumeister seiner Entwicklung".
2. Welche menschenrechtlichen Prinzipien sehen Sie in der Montessori-Pädagogik konkret verwirklicht?
Aus Sicht der Montessori-Pädagogik ist jedes Kind ein wertvolles Individuum und hat das Recht auf qualitativ hochwertige Bildung - unabhängig von religiösen, ethischen oder sozialen Besonderheiten oder ob ein Kind hochbegabt oder gehandicapt ist. Der achtsame und respektvolle Umgang zielt auf ein menschenwürdiges Miteinander ab und stellt in der Schule das Metafundament, auf das die pädagogischen Säulen der Montessori-Pädagogik gestellt werden.
Gerade in der heutigen (teilweise krisenhaften) Bildungssituation eine aktuelle Fragestellung, die auch dringend politischen Handlungsbedarf anspricht. Der Montessori-Ansatz liefert dazu reichlich praxisrelevante Lösungen und Ideen.
3. Das klassische Bildungssystem wird oft als selektiv und normierend kritisiert. Wie fördert die Montessori-Pädagogik stattdessen Vielfalt, Inklusion und soziale Gerechtigkeit?
Der Montessori-Ansatz beruht auf einem Menschbild, das dem Subjekt, also auch dem kindlichen Menschen, die Fähigkeit zum Konstrukteur seiner selbst zuschreibt. Der menschliche Geist bestimmt sich durch Eigenaktivität und dem Vermögen zu lernen, mit Freiheit verantwortungsvoll und moralisch konstruktiv umzugehen. Um Selektion und Normierung oder andere menschenunwürdige Strukturen zu bannen, werden die bei Frage 1 angeführten Aspekte zur pädagogischen Haltung und zur Organisation- bzw. Gestaltungsprinzipien für das Lernen in der Schule als sehr bedeutsam eingestuft, um dem Kind als gleichwürdigen Menschen begegnen zu können - eben mit der Idee, das Kind ist mit dem Vermögen zur Selbstbestimmung, mit der Schlüsselqualifikation im Umgang mit (den Regeln) der Freiheit und der Fähigkeit zur Eigenverantwortlichkeit des eigenen Handeln ausgestattet. Auch wird dem heranwachsenden jungen Menschen die Fähigkeit zur Reflexion sowie die Sensibilität für positiv moralische, soziale und ethische Werte und Einsichten zugetraut, die nicht nur dem eigenen, sondern auch dem Gemeinwohl dienen. Es gilt das Prinzip der Individualisierung als Voraussetzung zur Gemeinschaftsbildung. Das soziale und emotionale Lernen ist gleichwertig mit kognitiven Lernen. Diversität hat dabei einen hohen Stellenwert, denn sie ist Basis für die Zusammenarbeit und ein friedliches Auskommen von Menschen mit/aus unterschiedlichsten Hintergründen und Kulturen.
4. Inwiefern kann die Montessori-Bewegung - historisch und heute - als Teil einer Menschenrechtsbewegung verstanden werden?
Dazu ein elementares Zitat aus der Montessori-Literatur: "Es ist heute offensichtlich, dass der Mensch in verzweifeltem Ausmaß der Intelligenz bedarf, um seine Kraft zur konstruktiven Veränderung der Dinge einzusetzen. Es ist nur zu hoffen, wenn der Mensch seine selbstverfertigte Welt in einer Fassung erhält, die menschliches Leben ermöglicht, dass sich in Richtung auf eine für alle würdige Existenzform entwickelt. Eben das lässt sich nur mit Hilfe von Erziehung verwirklichen." Aus: M. Montessori (1977): Erziehung zum Menschen, S. 141.
Montessori, M. (1977): Erziehung zum Menschen. Montessori-Pädagogik heute. München: Geist und Psyche Fischer.
Wie kann aus diesem Artikel zitiert werden?
Bitte geben sie folgende Quelle an:
Margareta, Harrer (2025): Montessori-Pädagogik als eine Form des "stillen Widerstands"?
Verfügbar unter: https://www.bel-montessori.at/blog/montessori-paedagogik_als_form_des_stillen_widerstands
Literatur:
- Montessori, Maria (1977): Erziehung zum Menschen. Montessori-Pädagogik heute. München: Geist und Psyche Fischer.